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Linie

Die Schulbus-Kapitänin


VON FENJA WIECHEL-KRAMÜLLER

Lüchow-Dannenberg. Es ist 5.45 Uhr. Draußen ist es noch dunkel. Mit prüfendem Blick geht Busfahrerin Andrea Lippe um ihren Linienbus herum, öffnet die Motorklappe hinten und kontrolliert den Ölstand. Plötzlich ruft sie über den stillen Betriebshof des Busunternehmens Irro: „Thomas, es fehlt Kühlmittel.“ Werkstattmeister Thomas Finck kommt und füllt es nach. Sie überprüft auch die Reifen. „Manchmal habe ich schon einen Nagel drin gehabt“, bemerkt sie. Das Licht funktioniert einwandfrei, stellt sie fest.
Seit 25 Jahren fährt Andrea Lippe die Busse des Unternehmens Irro durch die Straßen. Irro arbeitet im Auftrag der LüchowSchmarsauer Eisenbahn (LSE), des kreiseigenen Busunternehmens. 1992 begann sie als Taxifahrerin, 1999 machte sie den Busführerschein. Heute lenkt die 61-Jährige seit zwei Jahren denselben Iveco-Bus.
„Wenn der Wecker morgens klingelt und es draußen noch dunkel ist, fällt das Aufstehen besonders schwer“, gesteht Lippe. Ihr Wecker holt sie bereits um 4.35 Uhr aus dem Bett. Vor den Sommerferien durfte sie noch bis 5.05 Uhr schlafen. „Mit den neuen Busplänen zum neuen Schuljahr fange ich eine halbe Stunde früher an.“ Routiniert steckt sie ihre Fahrerkarte in den digitalen Fahrtenschreiber, der über ihrem Fahrersitz an der Decke des Busses montiert ist. „Das Gerät zeichnet alles auf – meine Geschwindigkeit, die Fahrzeit. Da entgeht nichts“, erklärt sie „Wenn in einer 30er-Zone ein Unfall passiert, können sie genau nachvollziehen, wie schnell ich gefahren bin.“

Verstärker-Bus eingesetzt
Lippe startet den Motor des zwölf Meter langen Busses. „Ich liebe meinen Job, ich fahre gerne Bus“, sagt sie. Das mache sie sogar lieber, als Auto zu fahren. Um 6.02 Uhr rollt sie vom Betriebshof los. Die erste Haltestelle der Linie 8001: Breselenz Kirche, 6.18 Uhr. Die aufgehende Sonne taucht die Felder in rotes Licht. „Das sehe ich jeden Tag“, bemerkt sie lächelnd. „Guten Morgen, Andrea.“ In Breselenz steigen die ersten Kinder ein. Weiter geht es durch die Dörfer: Krummasel, Karmitz, Beutow. „Ich hatte mal überlegt, wieder in meinen Heimatort in Sachsen zurückzukehren. Aber das Wendland ist einfach zu schön“, sagt sie. Gollau, Müggenburg, Plate. Bis zur Endstation am Lüchower Busbahnhof (ZOB) um 7 Uhr steigen nur zehn Fahrgäste ein, obwohl der Bus Platz für rund 80 Personen bietet. Könnte man da nicht einen kleineren Bus einsetzen? Nein, sie habe keine Zeit, den Bus zu wechseln, sagt sie. Denn die nächste Tour werde umso voller sein. Beim Aussteigen meldet sich ein Mädchen bei ihr ab: „Tschüss Andrea. Die restliche Woche fahre ich mit einem späteren Bus.“
Am ZOB hat Lippe vier Minuten Pause. Dann startet die zweite Tour: Linie 8000 von Lüchow über Dannenberg nach Hitzacker. Seit dem Schulstart vor gut zwei Wochen habe ihr diese Route „etwas Stress“ bereitet. „Letzte Woche musste ich einen Rollstuhlfahrer stehen lassen weil der Bus voll war. Das tat mir so leid“, erzählt sie bedauernd. „Aber was soll ich machen? Ich kann doch die Kinder nicht rausschmeißen.“ Ein anderes Mal musste sie zehn Kinder in Dannenberg an der Kochstraße zurücklassen. In beiden Fällen rief sie bei der Firma an, und die Fahrgäste wurden anderweitig abgeholt. Seit dem dritten Schultag fährt deshalb täglich ein „Verstärker-Bus“ ab Tramm das gesamte Schuljahr hindurch, der ihr einige Fahrgäste abnimmt.

„Sicherheit geht vor“
Stressig wird es auch, wenn der Bus Verspätung hat oder im Stau steckt, oder? „Früher hat mich das gestresst, aber heute nicht mehr. Ich kann es nicht ändern und komme eben später an“, sagt sie gelassen. „Sicherheit geht immer vor“, betont sie. In Hitzacker komme sie stets zehn Minuten später an, „weil die vorgegebene Zeit einfach nicht zu schaffen ist“, erklärt sie. „Ich muss darauf achten, dass jeder Platz besetzt ist. Danach stehen die Kinder im Gang. Wenn ein Trecker vor mir ist, kann ich nur hinterherfahren.“ Oft drängelten auch Autofahrer/innen hinter dem Bus. Riskante Überholmanöver mancher Autofahrer/innen kritisiert sie scharf. „Manche dieser Autos sieht man dann ebenfalls vor der Grundschule stehen.“

Bezugsperson für Schulkinder „Besonders gerne fahre ich mittags, wenn die Grundschulkinder wieder einsteigen“, erzählt sie. „Sie kennen mich und wissen, dass sie während der Fahrt sitzen bleiben und sich anschnallen müssen.“ Letzte Woche stand sie vor einer Herausforderung: „Ich fuhr von der Grundschule Dannenberg los, und am Ostbahnhof sagte ein kleines Mädchen: ‚Andrea, ich muss mal pullern.‘ Zum Glück konnten wir das Problem schnell lösen.“ Als Busfahrerin ist sie also auch eine Bezugsperson für die Kinder. „Ja, das stimmt. Ich wurde auch schon zu Fußballspielen eingeladen. Besonders schön ist es, wenn mich die Kinder immer noch grüßen, auch wenn ich sie nicht mehr fahre.“
Wie kam sie zum Busfahren? „Das liegt in der Familie“, sagt sie lachend. Ihr Vater sei auch Busfahrer gewesen, ebenso ihre beiden Brüder und ihr Ex-Mann. Besonders zu Frauen sagt sie: „Jede Frau kann Bus fahren.“ Das Fahren sei nicht kompliziert – es sei lediglich eine Frage der Dimensionen, alles nur größer und länger als beim Auto hinter Lippes Fahrersitz. „Noch ein bisschen rücken, bitte“, ruft sie. Sie fordert auch jemanden auf, das Handy leiser zu stellen. Telefonieren und Videogeräusche seien „nervig“, sagt sie, sowohl für sie als Fahrerin als auch für die anderen Fahrgäste. Die meisten Schüler steigen auf dieser Fahrt in Hitzacker an der Bernhard-Varenius-Schule aus, einige auch an der Freien Schule.

Weiterarbeiten im Ruhestand
Zwischen halb 9 und kurz nach 12 Uhr hat Lippe frei, bis ihre Linienfahrten mittags wieder starten. Gegen 17.30 Uhr endet ihr Arbeitstag. Vormittags erledige sie meist private Termine. Außerdem habe sie noch eine Putzstelle, die sie ebenfalls einmal pro Woche in der Zeit nach der ersten Tour erledige. Als Busfahrerin verdient sie 17 Euro pro Stunde. Mit 63 Jahren möchte sie in Rente gehen, aber weiterarbeiten. „Solange ich fit bin, fahre ich weiter Bus“, sagt die Kolbornerin. Auf der linken Ablage neben ihrem Fahrersitz liegt ein kleiner Engel, ein Kettenanhänger. „Das ist mein Glücksbringer, der fährt immer mit und schaut mich an.“ [...]

„Besonders schön ist es, wenn mich die Kinder immer noch grüßen, auch wenn ich sie nicht mehr fahre.“ Andrea Lippe, Busfahrerin

Quelle: EJZ vom 22. August 2024, Seite 4


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